Aus "ASTRIUM inside No. 29"

Ein Leben nach der Raumfahrt

Seit mehr als zehn Jahren kümmern sich ehemalige Astrium-Mitarbeiter um die Archivierung der Raumfahrtaktivitäten von Astrium Bremen.

 

Astrium inside gruppenfotoMitglieder des historischen Archivs Bremen bei ihrer wöchentlichen Sitzung.

"Du wirst von Deinen Büchern noch mal nachts im Schlaf erschlagen“, sagte seine Frau neulich. Ulrich Bremer stört das aber nicht. So um die 2.500 Bände stapeln sich in seinem Privatarchiv, berichtet er, dazu Hunderte von Ordnern mit Unterlagen, und es wird noch immer mehr. Seit 45 Jahren ist der ehemalige Astrium-Techniker fasziniert von der Raumfahrt, und dieses Thema lässt ihn wohl auch nicht mehr los, selbst wenn er nun schon seit zweieinhalb Jahren im Ruhestand ist.

Mit vielen großen Programmen hatte Ulrich Bremer es in seiner aktiven Zeit bei Astrium in Bremen und den Vorgängergesellschaften zu tun, darunter mit der Europa-Rakete, der Ariane, mit Eureca, Spacelab, Columbus und ATV, um nur einige zu nennen. Alle haben sie eine breite Spur in seinen Regalen zu Hause hinterlassen.

Systematische Arbeit ist gefragt

Noch weitaus üppiger allerdings geht es in den Räumen des Raumfahrthistorischen Archivs Bremen im Gebäude 4c auf dem Bremer Werksgelände zu. Hier trifft sich Bremer, seit 2009 zweiter Vorsitzender des Vereins, an jedem Dienstag mit 15 seiner Vereinsmitglieder, um die Bestände dieses überbordenden Archivs zu ordnen und damit erst verfügbar zu machen.

Astrium inside BremerUlrich Bremer, Vorsitzender des Vereins

Zusammen mit Franz-Herbert Wenz, dem ersten Vorsitzenden, der vor zehn Jahren als Teilsystemleiter Produktion Orbitale Tanks in Bremen seine aktive berufliche Karriere bei Astrium beendete, nehmen wir Platz an einem kleinen Klapptischchen außerhalb der Archivräume. „Mehr als 15 Menschen passen einfach nicht zwischen die Regale“, begründet Bremer diese Entscheidung. Die Atmosphäre drinnen ist locker und persönlich, man kennt sich seit Jahren. 60 der 76 Vereinsmitglieder sind im Ruhestand. Bei Kaffee und Keksen wird nicht nur geplauscht, sondern auch konzentriert gearbeitet. Ordner, Bücher, Fachzeitschriften, Videokassetten, Plakate, Anstecknadeln, Aufkleber, Modelle, Teile aus der Fertigung, für die es irgendwann keine Verwendung mehr gab – alles ist in beeindruckender Fülle vorhanden. Die Archivalien müssen chronologisch und projektweise nach einer vereinbarten Systematik in einer Datenbank erfasst werden. Anders würde hier niemand je etwas wiederfinden.

Jedes Jahr ein Buch

Bremer und Wenz sind alte Hasen im Verein. Schon früh nach der Gründung im Mai 2000 stießen sie dazu. In dem Vertrag, den der Verein mit der Standortleitung schloss, verpflichtete sich das Raumfahrthistorische Archiv, jährlich ein Buch zu publizieren. Im Fokus stehen diejenigen Raumfahrt-Projekte, an denen die Bremer maßgeblich mitgewirkt haben. Im Gegenzug unterstützt Astrium die Tätigkeit des Archivs.

Astrium inside BuecherEinige der Publikationen des Archivs.

Da trifft es sich gut, dass mit Franz-Herbert Wenz ein Fachmann dabei ist, dessen Stedinger Verlag diese Fachbücher herausbringt. 66 Titel umfasst das Verlagsprogramm aus Zeit- und Heimatgeschichte sowie aus den Bereichen Luft- und Raumfahrt derzeit. Drei Publikationen zu Raumfahrtthemen hat der Stedinger Verlag selbst auf den Markt gebracht, 12 weitere Titel sind über das Raumfahrthistorische Archiv entstanden, sagt Wenz. Der aktuellste Band trägt den Titel „50 Jahre Raumfahrt in Bremen – 1961 – 2011“ (ISBN 978-3-927 697- 61-1), er wurde zum 50-jährigen Jubiläum von Astrium herausgegeben. Das reich bebilderte Kompendium dokumentiert auf 264 Seiten so ziemlich alles, was in diesem für Bremen so entscheidenden halben Jahrhundert raumfahrthistorisch passiert ist: von den Vorläufern der Ariane über die Ansätze für wieder verwendbare Träger und Wiedereintrittstechnologien bis zu denzahlreichen Projekten im Bereich Orbitalsysteme. Auch sondertechnische Ansätze, beispielsweise in der Meeres-, Energie- und Umwelttechnik werden behandelt.

Archivarbeit nahe an der Gegenwart

Das Raumfahrthistorische Archiv Bremen bietet demjenigen, der recherchieren will, einen einzigartigen Fundus. Zusammen mit den Vereinsmitgliedern, die sich aus eigener beruflicher Erfahrung mit vielen Projekten auskennen, ist hier eine glänzende Quellenlage präsent. Sammlungen, die - wie das Raumfahrthistorische Archiv - nahe an der Gegenwart arbeiten, werden allerdings nicht fertig. „Wir suchen nach einem Weg, zu einer gezielten, sortierten Ablage zu kommen, nicht zu einem fertigen Archiv“, beschreibt Franz-Herbert Wenz die Strategie. In den vergangenen Jahren wurde das Material so gut wie vollständig thematisch sortiert, nun sollen die Bestände penibel gesichtet, in sich vorsortiert und chronologisch geordnet werden. „Wir wollen in knapp zehn Jahren, wenn wir unser 20-jähriges Jubiläum feiern, nichts mehr unsortiert hier stehen haben“, umreißt Wenz die Planungen. Und es werden weitere Bücher entstehen, zum Beispiel über das Ariane-Programm, über das ATV und über Eureca. Und dann haben beide Vorsitzende noch eine dringende Bitte an ihre aktiven Kolleginnen und Kollegen im Unternehmen: Bevor irgendwo ausgemistet wird, möchte das Raumfahrthistorische Archiv einen Blick auf das Material werfen dürfen. „Es ist fast immer etwas Interessantes dabei“, wissen beide aus Erfahrung.

 

pdfDer Bericht zum Download (PDF)